17. Mai, kurz nach 20:00 Uhr, ich sitze am Siegespodest (obwohl ich platzierungsmäßig Lichtjahre entfernt bin) im Zielstadion des IM Lanzarote am Strand in Puerto del Carmen und bin fertig mit der Welt. 12 Stunden 49 Minuten und 7 Sekunden hat die Tortour über 226 km gedauert. Das ist um über 3 Std länger als bei meiner PB in Kalmar auch vor 6 Jahren. – Ja, die Wahrscheinlichkeit, dass man im 57. Lebensjahr noch schneller wird, ist eher überschaubar. Nicht in Form! – Nein, im Gegenteil, vor 3 Wochen bin ich einen meiner besten Halbmarathons beim IM 70.3 Valencia gelaufen. Energetische Fehler gemacht! – Auch nicht, ich habe meinen mehrfach bewährten Plan recht genau eingehalten.

Vor knapp einem Jahr, nach dem DNF in Klagenfurt, habe ich mir überlegt, was ich für mein 10 – jähriges Langdistanzjubiläum angehen sollte. Für irgendetwas rein vertikales, wie den Austria Extreme oder ähnliches bin ich nicht gebaut. Da müsste ich viel zu viel Lebendgewicht den Berg raufschleppen. Aber etwas besonderes musste schon her. Beim Stöbern im Netz habe ich in vergangenen Jahren immer einen großen ehrfürchtigen Bogen um diesen Bewerb gemacht. Insgeheim habe ich mir aber viele Berichte und Videos reingezogen. Vor 2 Jahren waren Renate und ich auf Trainingslager in Fuerte Ventura. Danach habe ich dieses, eh schon sehr vage Projekt wieder versenkt, um es dann letztendlich doch wieder auszugraben. Lucy Charles Barclay hat am Samstag einen überlegenen Sieg bei den Profidamen eingefahren und bei der Siegerehrung eine absolut richtige Aussage getätigt: Als Langdistanztriathlet muss man schon einen leichten Knall in der Birne haben, aber um diesen IM zu bestreiten muss der Poscher schon ziemlich massiv sein! Es sind gerade einmal knapp 1100 Athleten am Start (vgl. Klagenfurt, Frankfurt, usw. sind mehr als 3000).

Die Eckdaten dieses IM:

Schwimmen: 2 Runden mit kurzem Landgang im Atlantik – ist bei den üblichen Windverhältnissen die leichteste Übung an diesem Tag. Da gibt es maximal eine Oberflächenströmung und ein paar Wellen. Der Neusiedlersee ist manchmal grauslicher! Wassertemperatur 18-19°C

Rad: Eine Runde mit ein paar Pendelabschnitten über, mehr oder weniger die gesamte Insel. Durch Lavawüsten, über herrliche Bergstrassen, malerische Dörfer, knapp 2600 Höhenmeter – und dann wäre da noch der Wind, meist um die 25-30 km/h im Schnitt, gespickt mit Böen, welche zwischen den Vulkankegeln durchpfeifen.

Marathon: Auch der ist nicht flach (nix ist flach auf der Insel!), hat knapp 300 Höhenmeter und führt permanent entlang der Küste. Eine 2x ca. 10 km Pendelstrecke am Flughafen vorbei, unterhalb landender Flugzeuge und dann noch 4x ca. 5 km Pendler.

Temperatur: Die Schattentemperatur liegt ca. 23 – 25°C. Das klingt jetzt nicht dramatisch. Da Lanzarote nicht unbedingt für seine Wälder bekannt ist, spielt sich alles in der Sonne ab und die hat es in sich, da wir uns auf geografischer Höhe der Westsahara befinden.

Um 0715 Uhr geht’s los. Das Meer ist gnädig heute, im Vergleich zu den Vortagen, wo die besagte Strömung wesentlich stärker war. Beim Schwimmen gegen die aufgehende Sonne kannst dich nur auf die Füße vor dir verlassen. Das Abtriften Richtung des afrikanischen Festlands verhindern allerdings einige gut positionierte Boote. Das Schwimmen verläuft recht gut, auch die Schlägereien an den Wendebojen halten sich in Grenzen. Die Schwimmzeit mit 1:12:20 ist passabel, angesichts von nur 2 Einheiten/Woche in Ungarn.

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Nach dem Wechsel fängt der Ernst des Lebens an. Nach einem kurzen Stück entlang der Standpromenade geht es raus aus der Stadt und die ersten 15 km bergauf. Die Hoffnung auf milde Windbedingungen an diesem Tag ist dahin. Kaum ist die Nase draußen bei den letzten Häusern, weiß ich, dass die Entscheidung die Scheibe zu Hause zu lassen, die richtige war. Der Garmin beschreibt 24 Anstiege auf die 180 km.

Da ist keiner dabei, der besonders schwierig oder sonderlich steil ist. Ich versuche mich darauf zu konzentrieren, einen nach den anderen abzuarbeiten. Dass wir im März auf Trainingslager hier waren und alles zumindest einmal abgefahren sind, ist absolut hilfreich. Ca. bei Km 90 ist die Personal Needs Verpflegsstelle, wo ich meine Eigenverpflegung aufnehme und die biologische Notwendigkeit absolviere. Da steht die Uhr schon bei ungefähr 3 Std 30‘. Erste Negativgedanken kommen auf. Die 2 größten Anstiege kommen erst …. Selbst bei der 10 km Abfahrt vom Mirador del Rio (der bekannteste und nördlichste Punkt der Strecke) auf super Asphalt und kaum unübersichtlichen Kurven ist vollgas fahren für mich nicht möglich. Immer wieder knallt der Wind seitlich ins Rad. Ein Abgang über links ins Lavagestein ist das Letzte was’d brauchst! Schon vor dem Rennen war mir klar, dass ich gegen die 60 Kilospanier, oder wo sie alle her sind, keine Meter in den Bergen haben werde. Ich bin sicher nicht der beste Radfahrer, wahrscheinlich aber auch nicht der schlechteste. Aber wie da manche bergauf an mir vorbeigezogen sind, war schon bemerkenswert. Aufgrund des kleinen Starterfeldes zieht sich das Feld auf der Runde sehr auseinander und trotzdem sind gefühlt doppelt so viele Schiedsrichter unterwegs als in Valencia. Nach 7:00:44 ist der Wahnsinn zu Ende. Bei einer kurzen Hochrechnung wird mir bewusst, dass sich das Ganze, auch bei einem guten Lauf, nicht mehr unter 12 Std ausgeht. Der Gedanke sollte in weiterer Folge noch eine große Rolle spielen.

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Der Marathon beginnt recht gut, getragen von den Zuschauern, aber wie immer etwas zu forsch. Nach 2 – 3 Km ist ein guter Rhythmus gefunden, die Beine fühlen sich überraschend gut an und auch die Kohlenhydrate finden den richtigen Weg durch den Körper. Zum ersten Mal spüre ich bewusst die Hitze. Das erstmalig von mir ausprobierte Hitzetraining in den letzten Wochen macht sich allerdings bezahlt. Ich will aber gar nicht wissen, was sich so mancher gedacht hat, wennst lang/lang mit Haube bei 20°C Laufen gehst, oder in der gleichen Montur bei geschlossenem Fenster, aufgedrehter Heizung und ohne Ventilator auf der Walze einen Schweißsee gestaltest. Ab Km 12, 13 ist er wieder da, der Gedanke mit den 12 Std und die damit verbundene schlechte Platzierung. Eigentlich geht’s für mich nur mehr um die goldene Ananas. Selbst wenn ich den restlichen Marathon gehe, bin ich lang vor Ablauf der Cut-off Zeit im Ziel.

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Und dass ich das Ziel heute sehe, steht fest, daran gibt es keinen Zweifel. Nichts tut so weh wie ein DNF. Die Bereitschaft mich weiterhin mit einer Pace von 5:10, 5:15, 5:20 zu quälen schwindet immer mehr. Ich werde langsamer, ohne irgendeinen körperlichen Zwang. Nur die Birn spielt nicht mehr mit. Ich gehe. Ich habe schon einige Male einen Wandertag einlegen müssen, zumeist wegen Fehler, wie zu wenig Kohlenhydrate, Salzmangel, Dehydrierung, Magenkrämpfe. Aber jetzt, ich bin erstaunt über mich selbst, i mog nimma! Gott sei Dank, sieht mich in dieser Phase Renate nicht, denn IM Tracker spinnt. Da wär’s sicher zu einer veritablen Ehekrise gekommen. So schlepp ich mich irgendwie durch die Gegend und erst ab Km 35 kommt dann doch so etwas wie Motivation auf.

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Der letzte Km ist wie immer sehr speziell. Auf der Promenade steht ein Menschenspalier. Es sind jede Menge Läufer auf der Strecke, die meisten haben gerade einmal den Halbmarathon hinter sich, oder zumindest noch einen 10er vor sich. Das heißt noch stundenlanger Kampf – unvorstellbar. Ich biege ab über die Rampe mit dem roten Teppich – runter in das kleine aber bummvolle Zielstadion – Renate ist nicht zu finden in der Masse – ich will mich nur mehr hinlegen – es ist vorbei – IM Nr. 10 gefinisht – das DNF von Klagenfurt 2024 überwunden – die Insel hat mich mental schwer gefordert – gebrochen hat sie mich nicht. Lauf/Gehzeit: 4:27:49

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Letztendlich lande ich auf Platz 28 von 100 gestarteten in meiner AK. Um die Leistungsdichte ein wenig zu dokumentieren: Wäre ich den Marathon in meinem Leistungsniveau durchgelaufen, wäre ich um Rang 18 – 20 ins Ziel gekommen– 419. Platz overall. Die Ausfallsrate beträgt 20%.

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